Törnbericht des Sommertörns 1 der Exodus vom 22.06.2023 bis zum 09.07.2023
Am Morgen des 22. Juni starten wir mit sieben Jugendlichen aus Kleve und Umgebung und zwei Betreuungspersonen per Bus vom EFFA Kleve Richtung Oostende, Belgien. Dort treffen wir auf den dritten Betreuer, welcher schon am Vortag per Zug angereist ist.Die Crew für den ersten Sommertörn 2023 ist somit komplett, und am nächsten Morgen geht es mit unserem Traditionssegler EXODUS der Evangelischen Kirchengemeinde Kleve los Richtung Calais in Frankreich. Dort angekommen, bleibt Zeit für einen Stadtbesuch mit Betrachtung des historischen Rathauses, Pause im Stadtpark sowie die Stärkung mit heißem Kakao und den Einkauf letzter Lebensmittel für den Höhepunkt der Freizeit am nächsten Tag: Die Überquerung des Ärmelkanals und die Fahrt entlang der englischen Küste bis nach Gosport/Portsmouth UK. Strömung und Wetter sind günstig, dennoch ist die EXODUS fast 24 Stunden unterwegs. In Abstimmung mit der Crew wird die komplette Besatzung in 3 Personen Wachen für die Nacht eingeteilt, jeweils 2 Stunden Wachen für jeden Teilnehmer und 4 Stunden Wachen für die beiden erfahrenen Skipper. Eine Wache besteht aus einem Ausguck mit dem Scheinwerfer im Bug, dem Rudergänger sowie dem Skipper als Navigator. Es gilt, großen Frachtschiffen frühzeitig auszuweichen und schlecht sichtbare Fischernetze zu erkennen, den Kurs zu halten und sich mit heißem Tee zu stärken. Unter klarem Sternenhimmel fährt die Exodus stetig gegen Westen. Im Morgengrauen erreichen wir sicher und wohlbehalten Gosport. Nach einem kurzen Nickerchen und einem stärkenden Frühstück am Vormittag sind nur noch die Grenzformalitäten zu klären (gründlich aber freundlich) bevor es auf geht an Land in eine der bedeutendsten Hafenstädte der Seefahrernation Großbritannien. Zwei Tage verbringen wir hier, besichtigen die HMS Alliance (U-Boot aus 1947), die HMS Victory aus dem Jahre 1778 und die HMS Warrior (1860), lauschen den Erzählungen von schauspielernden (HMS Warrior) und echten Crewmitgliedern (HMS Alliance) und Restaurateuren (HMS Victory), erkunden die Stadt und probieren echtes britisches „Fish and Chips“.
Am Nachmittag des 26 Juni verlassen wir mit der Exodus Gosport und erkunden die Flussläufe und Buchten rund um „The Solent“ und die „Isle of Wight“. Um Land und Leute besser kennen zu lernen, teilen wir uns die nächsten zwei Tage in zwei Gruppen auf, die eine Gruppe segelt jeweils einen Tag auf der Exodus, während die andere Gruppe an Land zu dem vereinbarten Treffpunkt wandert.
Nach zwei Tagen vor Anker mit dem Meer als einziger Bademöglichkeit freuen wir uns alle über die warmen Duschen der Marina im Beaulieu River, bevor wir am 29. Juni wieder Abschied vom englischen Festland nehmen, mit Kurs auf die britischen Kanalinseln. Wir erreichen Alderney um 01:00 Uhr morgens britischer Zeit, machen aber nur 8 Stunden Pause, bevor wir zur deutlich größeren Nachbarinsel Guernsey übersetzen. Für die nächsten zwei Tage ist starker Wind gemeldet, die wollen wir im belebteren St. Peter Port verbringen. Die Überfahrt ist kurz, aber ruppig; unter Motor und gegen Wind und Wellen kämpft sich die EXODUS durch die Engstellen zwischen den Inseln. Für einige von uns bedeutet dies 2 Stunden Kampf mit der Seekrankheit, für andere eine kostenlose Achterbahnfahrt und den Anblick einer ganzen Schule Schweinswale (oder waren es doch Delphine?), die unsere EXODUS neugierig umkreisen. Auf Guernsey besichtigen wir einen restaurierten Funk-Bunker und ein unterirdisches Lazarett aus dem Zweiten Weltkrieg. Am Abend des 3. Juli verlassen wir St. Peter Port um in einer Bucht zu ankern, am Strand zu grillen und den Abend bis tief in die Nacht am Lagerfeuer zu verbringen, bei Gesprächen über Gott und die Welt und den interessanten Geruch des Holzes für unser Lagerfeuer. Zirbe? Zeder? Wir wissen es bis heute nicht.
Am nächsten Morgen nehmen wir bei bestem Segelwetter Kurs auf Jersey, der Wind hat auf 4-5Bft nachgelassen, die Wellen haben „nur“ noch 3m Höhe. Mit bis zu 7 Knoten und vollen Segeln durch diese Hügellandschaft brausen: ein Traum für jeden Salzwassersegler. Wir erreichen Jersey am Abend mit der Absicht noch schnell Schiffsdiesel zu tanken und uns einen gemütlichen Abend zu machen, nur um festzustellen, dass alle drei Schiffstankstellen der Insel außer Betrieb sind. Bis zum Morgen des 5. Juli bleiben wir in Jersey, besuchen das lokale Schifffahrtsmuseum, das „Fort Regent“ und den Hafenmeister, der uns versichert: Doch, die eine Schiffstankstelle würde am Abend für eine Stunde offen sein. Wir planen in Absprache mit der ganzen Crew die letzten Tage unseres Törns und stellen fest, dass uns Gezeiten und Wetter eine ganz besondere Gelegenheit bieten: Der Besuch des Mt. St. Michel mit dem Schiff! Gesagt getan; am Abend des 5. Juli werfen wir die Leinen los. Doch wir sind noch keine 2 Meter weit gekommen, da schlägt das Schicksal zu! Der Motor stockt, etwas knallt! Ein Seil hat sich in der Schiffsschraube verfangen. Nach 4 Stunden harter Arbeit für manche und harter Geduldsprobe für andere ist der Schaden behoben, es kann weitergehen. Jedoch, die Tankstelle ist nun wieder geschlossen, der Wind ist schwach und die Gezeiten sind nicht mehr günstig. Aus einer 10 Stunden Fahrt, verteilt auf zwei Tage, ist so eine fast zwanzigstündige Fahrt ohne Pause geworden. Wir beraten erneut mit der Crew, die Wünsche nach Gemütlichkeit und Abenteuer halten sich die Waage, am Ende entscheidet der Münzwurf, dass wir es wagen werden.
Langsam schaukelt die Exodus durch die Nacht, an Backbord verblassen die Lichter von Jersey und vor dem Bug geht der Mond auf, dessen Licht sich zuerst rötlich, dann silbern im Wasser spiegelt, eine Straße aus Mondschein. Der Motor bleibt aus, um Diesel zu sparen. Bei bis zu drei Knoten Gegenstrom machen wir kaum Fahrt, Gefahr von großen Berufsschiffen oder Fischernetzen besteht nicht, die Wachen sind freiwillig und werden von den Crewmitgliedern bestritten, die sich für die Nachtfahrt ausgesprochen hatten. Mancher wird fast die komplette Nacht durch segeln. Im Morgengrauen wechselt die Strömung, wir haben nun Strom von hinten und kommen besser voran. Gegen 8:00 Uhr durchqueren wir das Riff bei „Grande Ile“ und sind somit wieder offiziell in französischen Gewässern, um 13 Uhr fallen wir ca. eine Seemeile vor dem Mt. St. Michel trocken. Wir erreichen den Berg zu Fuß über das Watt. Ein Skipper und ein Crewmitglied, die den Mt. St. Michel schon gesehen haben, bleiben an Bord zurück, um uns am Abend bei Hochwasser mit dem Schiff abzuholen. Wir reihen uns in die Besucherströme ein, bestaunen die mittelalterlichen Straßen und das wunderschöne Kloster des „Heiligen Michael“ auf dem Berg. Pünktlich zur Flut um 22:31 Uhr holt uns die Exodus am Mt. St. Michel ab. Vor den Augen hunderter schaulustiger Touristen, welche noch den Sonnenuntergang an der Sehenswürdigkeit betrachten wollen, klettern wir an Bord. Unsere majestätische Abfahrt in den Sonnenuntergang wird nur dadurch getrübt, dass wir einen unserer Kimmkiele in unserem Kielwasser treibend entdecken und zwei extra Kringel drehen müssen, um ihn wieder einzusammeln. Dies ist nicht weiter schlimm, die Kimmkiele sind mit einer Sollbruchstelle versehen, welche bei Belastung nachgibt und können einfach wieder befestigt werden, jedoch sind wir froh, dass die vielen Schaulustigen auf der Insel wohl keine Ahnung haben, welches Missgeschick uns da passiert ist.
Die Nacht ist windstill und sternenklar, mit langsamer Fahrt unter Motor erreichen wir kurz nach Mitternacht unseren Zielhafen, Granville. Hier werden wir zwei Tage bleiben und die Exodus an die nächste Crew übergeben. Der vorletzte Tag bringt Aufräumarbeiten, Putzarbeiten und einen entspannten Strandaufenthalt mit Wasserball. Am Abend 08.07. übergeben wir die Exodus nach einem gemeinsamen Abendessen an die nächste Crew und verbringen noch eine Nacht im Zelt auf dem Campingplatz, bevor wir uns mit dem Bus auf die Heimreise machen.
425 Seemeilen sind wir gefahren, durch drei Länder innerhalb und außerhalb Europas, haben mit 10 Personen über 2 Wochen auf den 9,6 Metern Rumpf unserer Exodus verbracht und unser Schiff, Land und Leute und unsere Mitsegler kennen gelernt, von den vielen guten Seiten, wie auch gelegentlich von Seiten, die wir vielleicht lieber nicht kennen gelernt hätten. Es bleibt die Erinnerung an ein spannendes Abenteuer, an Streit und Versöhnung, an Geschichte und Kultur, an belebte Häfen und einsame Buchten, an Seekrankheit und euphorisches Glück und die Vorfreude auf den Luxus der eigenen 4 Wände und auf die Abenteuer des nächsten Törns.
Exodus Ahoi.
Chris, Co-Skipper